Neulich hielt ich einen Vortrag bei den Spitzenfrauen Baden-Württemberg. Ich habe daraufhin viele tolle und interessante Rückmeldungen erhalten.

 

So auch von einer Teilnehmerin, die mir folgendes schrieb:

 

„Sie glauben nicht an die Abschaffung von Titel in Firmen oder gar auf Visitenkarten. Ich glaube, dass das immer mehr kommen wird. Junge Talente legen immer weniger Wert auf sowas. Cross-funktionale Teams und flache Hierarchien sind die Strukturen die die Workforce von Morgen - meiner Meinung nach – anstreben…Great leaders are not their titles.“

 

 Ich stimme den prinzipiell zu – und auch wieder nicht.

 

Ja, ich nehme auch den war, dass Menschen sich nach Führung sehnen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht den Titel. Dass Menschen spüren, wie sie davon profitieren, wenn sie nicht im Silo arbeiten, sondern vernetzt im Team mit unterschiedlichen Menschen.

 

Frauen spielt dieser Trend absolut in die Hände: denn Frauen, die vorrangig dem horizontalen Kommunikationssystem zuzuordnen sind, schätzen „Inhalte“ und „Zugehörigkeit“. Damit sind sie prädestiniert dafür, Sachthemen zu forcieren, Machtspiele zu ignorieren und gleichzeitig ein Team zu motivieren.

 

Jedoch: ich glaube, dass wir hier ausblenden, dass die Welt eben auch noch aus anderen Menschen besteht.

 

Menschen, die vorrangig vertikal kommunizieren und für die „Status“ und „Revier“ eben erst mal wichtiger sind als Inhalte und Zugehörigkeit. Dies sind vorrangig Männer, aber nicht nur.

 

Jetzt kann man sich lange streiten, ob das Biologie ist oder Erziehung. Fakt ist, dass Deborah Tannen zu ihrem Modell kam, indem Sie Kindergartenkinder beim Spielen beobachtet hat. Es machen also schon die Kleinsten.

 

Ich stelle bei den „Horizontalen“ immer wieder eine gewissen „Erhabenheit“ fest. Nach dem Motto „Wir sind die Besseren“ weil wir uns ja nicht für so tumbe Dinge wie Rang und Revier interessieren.

 

Ich halte das für äußerst gefährlich. Denn zum einen wird das die Lebenswirklichkeit und die Prioritäten einer großen Anzahl von Menschen ausgeblendet. Und zum anderen hat das auch was von Hochnäsigkeit (und ich schreibe das mit dem größten Wohlwollen, denn ich ertappe mich selbst immer wieder bei diesen Gedanken).

 

Denn die „Horizontalen“ sind nicht per se moralisch erhaben – sie setzen nur andere Mittel ein.

 

Ein Beispiel aus Deborah Tannens Arbeit:

 

Sie beobachtete Interkationen von Kindern, die Spielzeuge ausgeteilt bekommen hatten. Hier gab es „bessere“ und „schlechtere“ Spielzeuge.

 

Das beobachtete sie bei den Jungs: die nahmen sich teilweise die Spielzeuge einfach gegenseitig weg. Manchmal auch rabiat. Also das Recht des Stärkeren siegte.

 

Bei den Mädchen beobachtete sie folgendes: manche priesen ihre „schlechteren“ Spielzeuge an – und erzählten, welche großartigen Vorteile sie doch hätten und versuchten so, ihre Spielkameraden davon zu überzeugen, die Spielzeuge einzutauschen.

 

Sowohl Jungs wie Mädchen versuchten also zu bekommen, was sie wollten - auch zum Nachteil anderer. Die einen mit körperlicher Stärke (und auch Gewalt), die anderen mit Sprache (und auch mit Unwahrheiten).

 

Natürlich lehne ich körperliche Gewalt total ab. Jedoch kann ich der Manipulation auch wenig abgewinnen. 

 

Ich kann letztendlich jedes Mittel zum Schaden anderer einsetzen - das die Vertreter des vertikalen Kommunikationssystem machen das nur zuweilen sehr offensichtlich. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Vertreter/-innen des horizontalen Kommunikationssystems die Gutmenschen wären, die immer das Wohl der Anderen im Blick haben. Auch hier gibt es Aggressionen - nur wird diese oft versteckter ausgeübt. 

 

Deshalb kommt es für mich vor allem auf die Haltung an, mit der ein Mensch agiert.  Möchte ich wirklich kooperieren, oder versuche ich mir einen Vorteil zu erschaffen, sei es offensichtlich oder verdeckt. 

 

Außerdem stelle ich fest, dass Rang und Revier ja durchaus ihre Berechtigung haben. Denn es geht auch um Verantwortung. Wenn ich einen Rang habe und ein bestimmtes Verantwortungsgebiet dann bedeutet das, um den Duden zu zitieren:

 

„Mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass innerhalb eines bestimmten Rahmens alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht“

 

Und

 

„Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen (und sich zu verantworten)“

 

 

Und das ist doch das Problem an der ganzen Sache:

 

Wir haben in Unternehmen kein Hierarchieproblem, sondern wir haben ein Verantwortungsproblem. Nämlich, dass Führungskräfte sich nicht um ihren Verantwortungsbereich kümmern, nicht dafür sorgen, dass das Richtige getan wird, sich nicht darum kümmern, dass kein Schaden entsteht.

 

Dafür kann jedoch die Hierarchie nichts – sondern die Person, die in der Verantwortung steht und die Personen, die über ihr stehen und sie gewähren lassen.

 

Deshalb braucht es, meiner Meinung nach, eine andere Revolution: nämlich Führungskräfte in die Verantwortung zu nehmen für das, was da in Ihren Verantwortungsbereichen passiert.

 

Meine persönliche Philosophie ist: Führen ist Dienen. Ich bin nur deshalb Führungskraft, weil ich Verantwortung für Mitarbeiter habe. Und mein Job ist es, diese Mitarbeiter an die richtige Stelle zu setzen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie ihre bestmögliche Leistung bringen können, an den Zielen des Unternehmens ausgerichtet. Und zwar so, dass sie dies über viele Jahre machen möchten. Dass sie sich entwickeln können. Und dass sie ihre Aufgaben mit Freude erledigen können.

Nicht mehr und nicht weniger.

 

Und natürlich ist es auch meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass meine Mitarbeiter mit anderen Bereichen zusammenarbeiten und sich nicht im Silo verstecken.

 

Und was ich finde, die „Horizontalen“ auch gerne übersehen: In absolut gleichberechtigten Organisationen (die es so gut wie nicht gibt), sind die Diskussionen oft unglaublich langatmig. Ich bin beispielsweise als Gemeinderätin in einer Fraktion. Diese Fraktion hat keinen Vorsitzenden und so verbringen wir richtig viel Zeit damit, über eine Sache zu debattieren. Oft auch mit dem Ergebnis, kein Ergebnis für die Fraktion zu finden. Das können wir uns in einem 13-köpfigen Gemeinderat leisten, bei dem jeder nach seinem besten Wissen und Gewissen abstimmen darf.

 

In einem Unternehmen kann ich mir so ein Vorgehen manchmal leisten – aber sicherlich nicht täglich.

 

Was außerdem noch meine Befürchtung ist:

 

Nur weil es keine Hierarchien gibt, heißt es nicht, dass Rang und Revier orientierte Menschen nicht doch „Führungspositionen“ anstreben – nur sind diese dann eben oft inoffiziell. Und diese finde ich ja ganz gefährlich. Wir alle kennen den Kollegen oder die Kollegin, die unglaublich viel zu sagen haben, in die Bereiche anderer mitreden – jedoch nie dafür die Verantwortung übernehmen, weil sie ja offiziell gar nicht die entsprechende Position haben. Ich habe schon öfters solche Menschen erlebt – die gerne ihre Macht ausgespielt haben, jedoch auf keinen Fall eine „echte“ Führungsposition übernehmen wollten – denn das hätte ja geheißen, sie hätten sich offiziell für ihr „Strippen ziehen“ verantworten müssen.

 

 

Um noch einmal zusammenzufassen – aus diesen Gründen halte ich die hierarchielose Unternehmensorganisation für eine Utopie:

 

Hierarchie gibt vertikal kommunizierenden Menschen Sicherheit

Horizontal kommunizierende Menschen können sich in langatmigen Diskussionen „verheddern“, ohne zu einer Entscheidung zu kommen

In hierarchielosen Organisationen fehlt die Verantwortung

Hierarchielose Organisationen öffnen Tür und Tor für Rang und Revier orientierte Menschen, Macht aus zu üben, ohne sich dafür zu verantworten

 

Aus meiner Sicht macht es – wie so oft – die Mischung:

 

Hierarchie, (nur) wo sie notwendig ist.

Führungskräfte, die Verantwortung für ihren Bereich und ihr Handeln übernehmen

Diskurs, wann immer möglich, jedoch muss am Ende jemand die Entscheidung treffen – und dafür auch in die Verantwortung genommen werden

 

Herzlichst

Ihre Astrid Winkeler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.