Schildkröten sind schneller

So, die Hälfte des Jahres ist fast. Eine gute Zeit, um Bilanz zu ziehen: Wie sieht es denn mit Ihren guten Vorsätzen vom Jahresanfang aus? Schon aufgegeben? Oder haben Sie sich Anfang gar keine gesetzt, weil Sie sie sowieso nie einhalten?

 Dann darf ich erst mal sagen: Es liegt nicht an Ihnen!

 Wir Menschen haben ja eine unglaublich tolle Vorstellungskraft. Und wenn es uns gut geht und wir entspannt sind (und der Januar oder der Montag noch weit weg sind) können wir uns in den lebhaftesten Farben ausmalen, was wir im nächsten Jahr/nächsten Monat/nächste Woche alle anders machen werden.

Und an Tag Zwei, spätestens Tag Drei der neuen Zeitrechnung fällt uns die erste Entschuldigung ein, warum wir jetzt doch keine Zeit/keine Möglichkeit haben, unser Vorhaben umzusetzen.

 Bedeutet das also, dass wir zur Hoffnungslosigkeit verdammt sind und nie etwas ändern können?

 Mitnichten. Wir gehen nur von falschen Voraussetzungen aus. Wir denken, dass Willenskraft uns weiterbringt und wenn wir genügend davon haben, dann klappt die Veränderung schon. Und wenn wir keine Willenskraft haben, dann sind wir faul oder nicht gut genug oder eh hoffnungslos.

 Dabei sind wir nur menschlich.

 Es ist nicht, die Willenskraft, die uns bei der Veränderung hilft. Sondern die Gewohnheit.

 

Wie langweilig, oder? Gewohnheit hört sich lahm an. Bevor Sie mir jetzt gleich wegbrechen, lassen Sie mich Ihnen sagen: Gewohnheiten sind die absolute Geheimwaffe! Wenn Sie etwas zur Gewohnheit machen, können Sie Dinge erreichen, von denen Sie nie zu träumen gewagt haben! 

 Nur wie?

 Die Formel ist ganz einfach:

 Sie zerlegen eine Verhaltensweise in „Schildkrötenschritte“ (also ganz kleine) und tackern diese an eine andere Gewohnheit.

 Ich mache Ihnen ein Beispiel:

Seit einiger Zeit sehe ich schlechter in der Nähe. Da ich keine Lust auf eine Brille habe, habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie ich das verändern könnte. Dafür habe ich ein Sehtraining absolviert. Wie bei den meisten Trainings helfen die jedoch nur, wenn man sie REGELMÄSSIG UND DAUERHAFT macht. Da ich mittlerweile weiß, dass große „Brocken“ eh nicht zu schaffen sind, habe ich mir vorgenommen, nur eine Übung aus diesem Training zu machen – die Übung geht ca. eine Minute.

Und dann habe ich mir überlegt, welche Gewohnheit ich bereits habe, an die ich meine neue Gewohnheit „tackern“ kann.

 

Ich meditiere vor dem Aufstehen immer morgens im Bett – das ist meine alte Gewohnheit. Jetzt ist noch das Augentraining hinzugekommen. Sobald ich mit meditieren fertig bin, mache ich die Minute Augentraining. Das kostet mich praktisch keine Anstrengung. Denn die Gewohnheit „Meditation“ ist schon so intus, dass ich gar nicht darüber nachdenken muss. Das Ende der Meditation wirkt dann als Aufforderung, mit dem Augentraining zu beginnen.

 

Das wundersame an dieser Methode ist folgendes:

 

Nach einigen Wiederholungen benötige ich keine mentale Power mehr, sondern es läuft von ganz allein.

 

Und: Nachdem ich meinen Schildkrötenschritt „Eine Minute Augentraining“ lange genug gemacht habe, habe ich richtig Lust darauf, eine weitere Minute dran zu hängen. Denn Erfolg macht Lust auf mehr. Das nennt man auch den „Ripple-Effekt“ – wie ein Stein, den man in einen ruhigen See wirft und der dann weitere Kreise zieht. Wenn Sie Erfolg mit einer kleinen Sache haben, dann haben Sie automatisch Lust darauf, die Sache größer werden zu lassen.

 

Und mit diesem Verfahren können Sie unglaublich viele Verhaltensweisen zur Gewohnheit werden lassen. Sei es mehr Sport, Meditation, sich beruflich Fortbilden, etc.

 

Um das ganze noch zu intensivieren, können Sie sich dann noch einen „Accountability Buddy“ suchen. So ein Buddy ist beispielsweise eine Freundin in den USA für mich. Wir haben uns vorgenommen, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, für die wir dankbar sind und drei Dinge, die wir gut gemacht haben (Frauen vergessen ja schnell, dass sie was gut gemacht haben und kritisieren sich stattdessen dauernd…). Und anstatt das in ein Buch zu schreiben, schreiben wir das in einen Chat. So werden wir jeden Tag daran erinnert und wenn die eine sich mal zwei Tage nicht gemeldet hat, meldet sich die andere und fragt was los ist.

 

Mittlerweile, wenn ich etwas ändern will oder etwas zur Gewohnheit werden lassen möchte, frage ich mich immer, welche Gewohnheit ich bereits habe, an die ich das rantackern kann.

 Wie die Amis sagen: „Works like a charm.“

 Wenn Sie mehr über das Thema wissen möchten, empfehle ich die Bücher von BJ Fogg, Verhaltensforscher an der Stanford University.

 Und jetzt viel Spaß beim Gewohnheiten ändern!

 

Herzlichst

Ihre Astrid Winkeler