Hilfe – mein Chef ist ein Narzisst!
Ist das auch etwas, worunter Sie leiden? Falls ja, dann sind Sie nicht allein.
Knapp drei Jahre lang hätte das auch die Überschrift über mein (berufliches) Leben sein können.
Nur hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so viel von Narzissmus gehört, geschweige denn, hätte ich einen Narzissten erkennen können.
Ich wusste nur, dass ich langsam, aber stetig, das Gefühl hatte, verrückt zu werden und letztendlich „the last (wo)man standing“ war, da all meine Kolleginnen und Kollegen, die an ihn berichteten, sich nach und nach auf andere Stellen bewarben.
Typisch Frau dachte ich lange Zeit, dass die ganze Misere an meiner Unzulänglichkeit läge und ich suchte die Schuld für die unschöne Zusammenarbeit bei mir.
Nach knapp zwei Jahren und einigen Coaching-Terminen kam ich dann jedoch zu dem Schluss, dass es nicht an mir lag, sondern dieser Chef einfach unglaublich unmoralisch war.
Aber was tat er denn genau?
Nun, fangen wir von vorne an:
Es ließ sich ja ganz gut an. Da kam ein neuer Chef, den man von extern für viel Geld geholt hatte. Charismatisch, charmant und der erst mal verkündete, er wolle aus dem ganzen Bereich das Beste herausholen und seine Mitarbeiter soweit bringen, dass sie bei den größten Marken der Welt arbeiten könnten.
Soweit, so gut.
In meiner grenzenlosen Naivität glaubte ich das auch und wollte natürlich diesen hohen Ansprüchen genügen. Schnell jedoch zeigte das Bild Risse. So stellte ich ziemlich bald fest, dass er zwei Gesichter hatte. Immer wieder stimmten wir vor Meetings unsere gemeinsame Linie ab, die er mich dann vor anderen Unternehmensbereichen vertreten ließ. Wenn es dann Gegenwind gab, knickte er sofort ein und verkaufte das Ganze als „Idee von Frau Winkeler“, während er das natürlich ganz anders sähe…Das musste mir ein paar Mal passieren, bevor ich kapierte, dass er mich vor allem als Speerspitze nutzte und mich gerne ins offenen Messer laufen ließ.
Als es bei einem wichtigen Projekt eine gravierende zeitliche Verzögerung gab, die ihm sehr unangenehm war, wurde er just zur besagten Präsentation krank, so dass diese Präsentation Frau Winkeler halten durfte. Glücklicherweise für ihn, war die Krankheit zum Abendessen dann wieder vorbei.
Gab es jedoch etwas Positives aus meinem Bereich zu verkünden, so machte er das dann doch gerne selbst.
In dem Bereich, in dem ich arbeite, gab es auch viele Aufträge an Dienstleister zu vergeben. Und natürlich schleppte der neue Chef seine Agenturen an. Regelmäßig informierte mich dann die Assistentin meines Chefs, dass er Freitag morgens nicht ins Büro käme (das war alles vor der Homeoffice-Zeit), denn er hätte einen wichtigen Termin bei unserer Agentur. Lustigerweise war ich für die Steuerung der Agentur zuständig und ich erfuhr nie, über welche wichtigen Themen bei diesen Terminen gesprochen wurde. Noch interessanter wurde es dann, als ich erfuhr, dass mein Chef und der Agenturleiter so dicke Buddys waren, dass sie auch gemeinsam die Wochenenden mit Städtetrips verbrachten. Ein Schelm wer Böses dabei denkt…
Insgesamt hatte er das Arbeiten sowieso nicht erfunden. Kollegen aus anderen Abteilungen sprachen mich regelmäßig darauf an, dass mein Chef ja so wenig da sei. Aber das glich er durch etwas anderes aus: er hatte die beneidenswerte Fähigkeit, sich drei Minuten zu einem Thema briefen zu lassen um danach 15 Minuten darüber referieren zu können. Und er hörte sich dabei an, wie wenn er richtig Ahnung hätte. Es wurde dann nur unangenehm, wenn ihm doch mal jemand auf den Zahn fühlte. Dann wurde er sehr schnell patzig und persönlich – denn der Narzisst mag es nur, angehimmelt zu werden. Nicht in Frage gestellt oder gar kritisiert.
Richtig unangenehm wurde es für mich, als ein Bereich, für den er verantwortlich war, nicht richtig lief und andere Führungskräfte ihn aufforderten, er solle doch diesen Bereich an Frau Winkeler übertragen, denn „bei der läuft’s“. Das konnte der Narzisst gar nicht leiden. Das war pure Gefahr. Ab da wurde er auch immer unangenehmer und versuchte, mich bei der Geschäftsführung zu verleumden.
Gleichzeitig war er unglaublich leicht zu kränken. Als er einmal bei einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Vorstandsmitglied unterlag, rannte er buchstäblich danach, mitten am Tag, aus dem Gebäude und kam nicht mehr wieder.
So könnte ich noch endlos weitererzählen. Letztendlich kam für mich der Point of no Return und ich öffnete mich für den Gedanken, das Unternehmen zu verlassen. Glücklicherweise bekam ich dann ein Angebot über einen Headhunter und fand eine Stelle mit mehr Verantwortung und besserer Bezahlung, ohne Narzissten-Chef.
Was da überhaupt passiert war, verstand ich dann erst, als ich das Unternehmen schon verlassen hatte. Da fiel mir nämlich eine Zeitschrift in die Hände, die das Titelthema „Narzissmus“ hatte. Beim Lesen dieser Geschichte verstand ich zum ersten Mal, mit wem ich mich eigentlich die letzten Jahre herumgeschlagen hatte. Und warum es auch genau richtig war, zu gehen. Denn mein Chef war ein Narzisst, wie er im Buche steht.
Laut dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, muss ein Mensch mindestens fünf Punkte erfüllen, um mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung diagnostiziert zu werden:
- ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität)
- die Beschäftigung mit Phantasien von unbegrenzten Erfolgen, Einfluss, Macht, Intelligenz, Schönheit oder der vollkommenen Liebe
- der Glaube, dass sie speziell und einzigartig sind und sich nur mit Menschen auf höchstem Niveau verbinden sollten
- der Wunsch, bedingungslos bewundert zu werden
- die Ausnutzung anderer, um ihre eigenen Ziele zu erreichen
- ein Mangel an Empathie gegenüber anderen
- Neid auf andere und der Glaube, dass andere sie beneiden
- Überheblichkeit
Bei meinem Chef stellte ich mindestens sechs davon fest und erfuhr das auch am eigenen Leibe, insbesondere die Ausnutzung anderer, Mangel an Empathie, Neid und Überheblichkeit.
Mehr über Narzissmus zu lernen half mir ungemein. Denn auf einmal machte alles so viel Sinn. Die vielen kleinen und großen Nadelstiche, die Unfähigkeit, eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre aufzubauen, das Lügen und Hintergehen…all das ergab auf einmal ein komplettes Bild.
Und deshalb schreibe ich diesen Beitrag – denn wenn ich eines gelernt habe, dann dass viele Narzissten in Führungspositionen landen und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mal so einen Chef bekommen, groß ist.
Und hier sind jetzt meine sieben Tipps, die Sie Ihnen helfen können, wenn Sie sich in einer solchen Situation wiederfinden:
- Wenn Sie eine neue Stelle antreten oder einen neuen Chef bekommen, denken Sie daran: Meiner Erfahrung nach benötigt man ungefähr ein Jahr, bis man jemanden kennt. Schenken Sie Vertrauen nur in kleinen Dosen und lassen Sie den anderen auch beweisen, dass er zu seinem Wort steht. Wie jemand wirklich tickt, wissen Sie sowieso erst, wenn Sie mal die ersten Reibereien hinter sich haben. Erst danach können Sie beurteilen, wie sich jemand wirklich verhält.
- Wenn Sie vermuten, dass Sie es mit einem Narzissten zu tun haben, lernen Sie mehr über dieses Thema. Narzissten sind unglaublich gut darin, andere zu manipulieren und ihr Selbstvertrauen zu zerstören. Wenn Sie das erkennen, so kann Sie das schützen.
- Suchen Sie sich einen Coach oder Sparringspartner, der auf Ihrer Seite steht. Jemanden, mit dem Sie diese Themen besprechen können und der Ihnen den Rücken stärkt. Wie schon gesagt, versuchen Narzissten im Laufe der Zeit Ihr Selbstvertrauen zu zerstören. Da hilft es Ihnen, wenn Sie mit einer anderen Person die Vorfälle besprechen können.
- Suchen Sie sich Verbündete in der Organisation, in der Sie arbeiten. Narzissten streuen gerne Gerüchte. Dem können Sie entgegenwirken, wenn Sie ein möglichst großes Netzwerk haben und die Menschen sich von Ihnen direkt ihr eigenes Bild gemacht haben.
- Erzählen Sie nichts! Zumindest nichts, was der Narzisst nicht unbedingt wissen muss. Geben Sie dem Narzissten keine Munition, die er verdrehen und gegen Sie verwenden kann.
- Dokumentieren Sie! Wer schreibt, der bleibt. Wenn Sie mündlich Anweisungen bekommen, machen Sie sich eine Gesprächsnotiz, damit Sie diese im Zweifelsfall ziehen können.
- Narzissten wollen keine Verantwortung übernehmen und schicken gerne andere vor. Lassen Sie das nicht zu! Lassen Sie den Narzisst in seiner Verantwortung und übernehmen Sie keine Aufgaben für ihn, die er eigentlich übernehmen müsste, auch wenn es Ihnen insgeheim schmeichelt. Mein Chef schickte mich gerne vor, wenn es unangenehme Dinge mit anderen Fachabteilungen anzusprechen galt. Zu Beginn dachte ich noch „welch Ehre“, im Nachhinein war das ein großer Fehler von mir und der passiert mir heute nicht mehr.
Letztendlich wurde der Narzissten-Chef geschasst. Das ist auch meine Erfahrung – irgendwann kommt man ihnen auf die Schliche und wird sie los. Jedoch – bis dahin kann es dauern. Und die Leidtragenden sind vor allem die Untergebenen.
Deshalb - wenn Sie einen Narzissten-Chef haben, müssen Sie gut für sich sorgen, strategisch denken und handeln und letztendlich sich auch immer fragen, wie lange Sie ihn noch aushalten können und wollen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Herzlichst
Ihre Astrid Winkeler